Hallo Joachim, willkommen im Hummelshain! Dein Roman spielt zur Zeit der Nelkenrevolution vor genau 50 Jahren in Portugal. Was hat Dich an dem Stoff gereizt?
Damals, 1974 war die Welt um uns herum so im Aufbruch, die sogenannte Hippiegeneration, Flower Power, Make Love Not War. Ich habe viel in der ersten Etage im KZ (Kulturzentrum- das wurde tatsächlich mit dieser Abkürzung genannt, und Betreiber war damals die Stadt Essen, soweit ich mich erinnere) in der Stadtmitte gegenüber dem Grillo-Theater "abgehangen" - und da gab es ein selbstgedrucktes Heft, das über die Veränderungen in Portugal und Spanien informierte. Wir haben mitgefiebert, auch wenn wir nicht vor Ort dabei waren. Während des Umruchs wurden viele Privatinitiativen zur Unterstützung gegründet. Z.B. wurden Pullover, die in Portugal von den Frauen gestrickt worden waren, hier in linken Buchhandlungen verkauft, um von dem Gewinn den Prozeß der Veränderung zu unterstützen.
Ich fand es vor dem Hintergund des Krieges in Vietnam, gegen den wir damals auf die Straße gingen, unglaublich beeindruckend, dass es dort gelang diese Veränderungen auf friedliche Art und ohne Blutvergießen herbeizuführen. Die Informationen habe ich bis heute aufgehoben und zum Teil darauf beim Schreiben zurückgegriffen.
Heute stelle ich immer wieder fest, dass dieses Ereignis, dass mich gerade wegen seiner friedlichen Art fasziniert hat, bei vielen Menschen vergessen ist oder auch nie zu einem Begriff geworden ist. Auch aufgrund meiner Herkunft ist mir aus eigener Erfahrung das ohnmächtige Ausgeliefertsein in einem totalitären System ein Greuel. Gerade weil diese Nelkenrevolution so beeindruckend für mich war, finde ich dieses Vergessen so enttäuschend. Wohingegen jedes Ereignis, dass viele Menschenleben fordert, ständig in den Medien über Jahre aktuell gehalten wird. Das fand ich so ungerecht und wollte deshalb diesem positiven Umbruch ein Denkmal setzen!
Gerade heute, wo Krieg wieder so aktuell ist, finde ich auch, sollte das ein Besipiel dafür sein, dass wirklich große Veränderungen auch tatsächlich ohne Gewalt zustande gebracht werden können. Soviel zum politischem Hintergrund und der Aktualität, die sich vor allem auf den 50. Jahrestags der Befreiung aus der Dikatur bezieht.
Da ist also die politische Seite, dieses erzählenswerte Beispiel einer friedlichen Revolution. Deine Hauptfigur ist aber eine junge Amerikanerin, und mit ihr erzählst Du noch von ganz anderen zeitbestimmenden Themen…
Parallel steckte ich hier in Deutschland mitten in den Auswirkungen der sexuellen Revolution - wie man immer so schön sagt. Tatsächlich hiess das, dass wir viele der Thesen, die heute so vehement vorgetragen werden, damals bereits voll gelebt haben. Und das sie wirklich selbstverständlich waren. Es wurde auch ununterbrochen über neue Beziehungsformen diskutiert und diese wurden ausprobiert. Eben: freie Liebe. Das hiess, wenn ich es mir genehmige, darf mein Partner, Partnerin das auch. Das war für den einen oder die andere oft nicht so leicht auszuhalten. Aber alles sollte offen besprochen werden und in keinem Fall mehr so verlogen vor sich gehen, wie es bei der Elterngeneration gelaufen war. Das Alles wurde auch begleitet von den Experimenten mit psychedelischen Drogen. Ich kann mich gut erinnern - und habe die Ausgabe noch - dass damals tatsächlich in einem Stern ein großer Bericht erschien, indem LSD nicht berteufelt wurde, sondern ein objektiver Bericht incl. Bildern, in dem zwei Journalisten nach London flogen und über ein Selbstexperiment berichteten.
Du bist praktizierender Psychotherapeut, berätst u.a. Paare in Krisensituationen. Fließt dieser Hintergund in Deine Darstellung des Dreiecksverhältnisses Julia-Roberto-Joao mit ein?
Viele, auch ich hatten damals bereits ein großes Interessen an Psychologie. Die Transaktionsanalyse, die Antiautoritäre Erziehung kamen auf, ein deutscher Autor setzte sich mit dem Thema "Die offene Ehe" auseinander. All diese Themen begegneten mir dann einige Jahre später wieder im Studium.
Natürlich war ich mitten drin dabei und habe meine Erfahrungen gesammelt. Emotional geht selbstverständlich immer auch etwas aus den persönlichen Erlebnissen in den Prozeß des Schreibens mit ein. Ich kann durchaus sagen, dass mir die eigenen Erfahrungen von damals sowohl in meinen Beziehungen als auch in den Paartherapien heute sehr zugute kommen. Dazu möchte ich auch betonen, wer nicht z.B. Trauer erlebt hat, wie will derjenige über Trauer schreiben, oder wie will derjenige therapeutisch helfen damit andere damit umgehen können?
Hast Du persönlich einen besonderen Bezug zu Portugal?
Ich habe in diesen Roman tatsächlich viel Herzblut investiert, die Recherchen dazu reichen über 12 Jahre zurück. Ich habe damals schon Informationen gesammelt über den Ort in den USA, aus dem Julia stammt, und über die Jahre immer wieder angefangen an den Persönlichkeiten der Personen zu feilen und einzelne Episoden zu schreiben. Vielleicht hat es auch deshalb so lange gedauert, weil ich mich auch immer wieder mit dem hohen Anspruch an mich sebst blockiert habe, da mir das Thema so wichtig war. Aber als dann das Datum der 50sten Wiederkehr vor der Tür stand, musste ich das Buch einfach abschließen!
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